Paderborn unter der NS-Diktatur 
     
     
     
     

    "[...]Verhältnis zum Stadtarchivar Dr. Al- 
    fred Cohausz.  Bei diesem wird die Ab- 
    lehnung des Kaufs einer Eintrittskarte 
    für eine NSDAP-Versammlung als 
    ,staatsfeindliche Einstellung" angezeigt 
    und zur Begründung seiner Entfernung 
    aus dem Dienst der Stadt herangezo- 
    gen. 39 
    Für die Leitung der Gewerbebank Pa- 
    derborn kommt zu diesen in der städ- 
    tischen Administration und auch in 
    anderen Behörden weiter systematisch 
    betriebenen Zwangsmaßnahmen bald 
    ein eigenes Personalproblem hinzu. 
    Dieser Fall soll nach den Akten der 
    Volksbank Paderborn als exemplarisch 
    für den NS-Gleichschaltungsprozeß in 
    Paderborn dokumentiert werden. 

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        Der Fall des Dr. Franz Schulte 
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    Mit dem 29.  Februar 1936 scheidet der 
    stellvertretende Bankleiter Hans Puls- 
    fort aus dem Vorstand der Gewerbe- 
    bank Paderborn aus, um in Rheda die 
    Leitung der Gewerbebank zu überneh- 
    men.  In der Generalversammlung am 
    28. Februar spricht Bankdirektor Dr.      
    Rüsing "Herrn Pulsfort ganz besonde- 
    ren Dank für seine Tätigkeit bei der 
    Gewerbebank Paderborn und für seine 
    stets kameradschaftliche Hilfsbereit- 
    schaft bei der Zusammenarbeit im Vor- 
    stand aus und wünschte ihm für seine 
    neue Stelle Glück und Erfolg." 
    Der schriftliche Nachtrag zum Proto- 
    koll dieser Generalversammlung hält 
    auch die hier erfolgte Mitteilung fest: 
    "An Stelle von Herrn Pulsfort's ist Dr. 
    Franz Schulte zum ehrenamtlichen 
    Vorstandsmitglied gewählt." 
    Der vom Aufsichtsrat zum zeichnungs- 
    berechtigten ehrenamtlichen Vor- 
    standsmitglied der Gewerbebank ge- 
    wählte Dr. Franz Schulte ist seit 1929 
    hauptamtlich als Syndikus der Kreis- 
    handwerkerschaft Paderborn tätig.  Sei- 
    ne Wahl zum ehrenamtlichen Vor- 
    standsmitglied durch den Aufsichtsrat 
    wird in bisher üblicher Weise von Dr. 
    Rüsing dem Westfälischen Genossen- 
    schaftsverband mitgeteilt. 

    "In fünffacher Ausfertigung" 

    Diese Art des Vollzugs einer demokra- 
    tischen Wahl durch den Aufsichtsrat 
    genügt dem NS-Reichskommissar für 
    das Kreditwesen in Berlin nicht mehr, 
    wie vom Westfälischen Genossenschafts- 
    verband dem Bankdirektor Dr. Rüsing 
    zu verstehen gegeben wird. 

    So beginnt ein für das Kontrollsystem 
    des NS-Staates typischer Schriftverkehr, 
    mit dem die Wahl zunächst schriftlich 
    gemeldet bzw. angezeigt werden muß. 
    Demzufolge schreibt Dr. Rüsing am 
    26. 2. 1936 an den Direktor des West- 
    fälischen Genossenschaftverbandes: 
    "Wir haben zum ehrenamtlichen Vor- 
    standsmitgliede den Syndikus der Kreis- 
    handwerkerschaft Paderborn, Herrn 
    Dr. Franz Schulte, gewählt und zeigen 
    Ihnen das an, falls diese Meldung in 
    Auswirkung des Reichsgesetzes vom 
    5. 12. 1934 notwendig ist.1141 
    Daraufhin erhält die Gewerbebank 
    Paderborn durch den Westfälischen 
    Genossenschaftsverband die Antwort: 
    "Da wir die von uns weiterzugebende 
    Mitteilung mit einer Befürwortung 
    versehen müssen, ist es notwendig, daß 
    Sie uns in kurzen Zügen über die fach- 
    liche Eignung des Herrn Dr. Schulte zu 
    dem Vorstandsposten unterrichten. 
    Ihre Ausführungen bitten wir uns in 
    fünffacher Ausfertigung zu machen, 
    adressiert an den Herrn Reichskom- 
    missar für das Kreditwesen, Berlin. 1141 
    Die Gewerbebank Paderborn richtet 
    am 3. März 1936 folgendes Schreiben 
    an den Herrn Reichskommissar für das 
    Kreditwesen Berlin: 
    "Herr Dr. Franz Schulte ist 1897 in 
    Paderborn geboren. 
    Von 1916-1918 war er im Felde. 
    Er studierte alsdann an den Universi- 
    täten Münster, Köln und Göttingen 
    Nationalökonomie. 
     

     
     
     

    Im Jahre 1922 wurde er zum Doktor 
    der Volkswirtschaft promoviert.  Bis 
    1928 arbeitete Dr. Schulte in Treu-  
    handgesellschaften und industriellen  
    Betrieben.  
    1929 wurde er zum Syndikus der Kreis- 
    handwerkerschaft Paderborn gewählt. 
    Diesen Posten hat er zur Zeit noch inne. 
    Bei seiner Vorbildung und seiner Stel- 
    lung ist Herr Dr. Schulte besonders 
    geeignet, das Amt eines ehrenamtli- 
    chen Vorstandsmitgliedes bei uns aus- 
    zuüben.  Ruf und Charakter sind sehr 
    gut.  Es liegt nach keiner Seite etwas 
    Nachteiliges vor."" 

    Meldung an den Reichskommissar 

    Der Westfälische Genossenschaftsver- 
    band zeigt am 7.März 1936 dem 
    Deutschen Genossenschaftsverband in 
    Berlin die Wahl von Dr. Franz Schulte 
    an und fügte der schriftlichen Mel- 
    dung vier Ausfertigungen der o. a. Be- 
    fürwortung der Gewerbebank Pader- 
    born bei.  Den Schlußpunkt des Vor- 
    gangs auf den Ebenen des Genossen- 
    schaftsverbandes bildet das Schreiben 
    des Deutschen Genossenschaftsver- 
    bandes Berlin vom 26.3.1936 an den 
    Westfälischen Genossenschaftsver- 
    band.  Ein Faksimile dieses Schreibens 
    wird als Zeitdokument in die Darstel- 
    lung der Geschichte der Volksbank 
    Paderborn aufgenommen. 
    In der Anwesenheitsliste der 44.  Gene- 
    ralversammlung am 8. 4. 1937, die mit 
    dem 40'ährigen Jubiläum der Gewer- 
    bebank bei einer Teilnahme von 301 
    Mitgliedern (!) verbunden wird, ist der 
    Name von Dr. Franz Schulte nicht 
    mehr zu finden.  Das Protokoll notiert 
    dafür "Herrn Keufer als Vertreter der 
    Kreishandwerkerschaft"  .13 
    Im Bericht des Aufsichtsrats über das 
    Geschäftsjahr 1936, den der Aufsichts- 
    ratsvorsitzende Dr. Rempe am 8. April 
    1937 erstattet, steht: "Neu in den Vor- 
    stand eingetreten ist Herr Dr. Franz 
    Schulte, der uns inzwischen wiederver- 
    lassen hat und nach München übersie- 
    delt ist.1144 Dr. Franz Schulte hat da- 
    mals offensichtlich in der NS-Zeit aus 
    "politischen Gründen" sein Amt als 
    Syndikus der Kreishandwerkerschaft 
    Paderborn aufgegeben. 
    Aus Notizen von Dr. Rüsing zu den 
    Personalbogen der Vorstandsmitglie- 
    der der Gewerbebank Paderborn ergibt 
    sich, daß Dr. Schulte von 1937 bis 
    1939 Prokurist eines Industrie-Bauun- 
    ternehmens
    in München ist. Im Jahre 
    1940 wird er Warenhausbesitzer in 
    Kamen, dazu Eigentümer einer Klei- 
    der- und Wäschefabrik in Kamen.  Als 
    Hauptmann d. Res. wird er zum Kriegs- 
    dienst eingezogen und ist 1947 wieder 
    als beratender Betriebswirt (Vermö- 
    gensberatungen) tätig. 
    Für die Chronik der Volksbank Pader- 
    born wird im Januar 1971 von Dr. 
    Rüsing schriftlich festgehalten: 
    "Dr.  Franz Schulte, gebürtiger Pader-  
    borner, war mit den Verhältnissen der 
    Stadt und des umliegenden Landes 
    bestens vertraut, als er zum Syndikus 
    der Kreishandwerkerschaft berufen 
    wurde. Er war durch seinen Fleiß und 
    seine stete Hilfsbereitschaft in den 
    Handwerkskreisen sehr beliebt." 
    [...]" 
     

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    Anmerkung: 

    Die vorstehenden Zitate habe ich dem 
    "Jubiläumsbuch für Stadt und Region Paderborn 
    100 Jahre Bankgeschichte im Hochstift 1897 - 1997" 
    der Volksbank Paderborn e.G. entnommen. 

    Das Jubiläumsbuch wurde mir im Rahmen meiner  
    Recherchen zu meines Vaters beruflichem Wirken und  
    seinem Widerstand gegen die Diktatur in Paderborn  
    am 24.06.1998 von der Volksbank Paderborn e.G. mit dem 
    folgenden Begleittext übersandt.: 

    "Sehr geehrter Herr Schulte-Schulenberg, 

    wir übergeben Ihnen unser Jubiläumsbuch, das wir anläßlich unseres 100jährigen Bankjubiläums im Jahre 1997 aufgelegt haben. Wir hoffn, daß Sie hieraus einige Dinge zu Ihrer  
    Familiengeschichte erkennen können. 

    Mit freundlichen Grüßen 

    Volksbank Paderborn 

    (Unterschrift)        (Unterschrift)                      " 

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