Pater Leppich SJ am 22.Juni 1965 in Essen (DE) Ribbeckplatz / Kundgebung
GESTERN ABEND auf dem Ribbeckplatz: Pater Leppich ( im Vordergrund, mit dem Ruecken zur Kamera) hatte einen ueberaus grossen Zuhoererkreis angezogen.                                                                                                     NRZ-Foto: Schöne
 

Die ersten Zuhoerer kamen schon vor halb acht. Spaeter waren es einige tausend, zehntausend - vielleicht - man kann die Zahl nur schätzen.  In den Strassen rund um den Ribbebeckplatz standen einige hundert Wagen. 

Auf dem Dach eines Lieferwagens war das Mikrophon.  Das Wagendach ist Pater Leppichs Kanzel.  Aus den grossen Lautsprechern toente Beethovens Fuenfte.  Helfer der Essener Gruppe der Aktion 365 standen bereit, um Schallplatten und Buecher zu verkaufen. Es war kuehl.Von fern blinkte Leuchtschrift.  "Vorerst gibt es keine zusaetzlichen VFBA-Aktien." 
- "Teilhaben am Wissen Gottes." 
Pater Leppich kam wenige Minuten vor acht Uhr auf den Platz.  Im Eilschritt. Aus dem Lautsprecher klang: Einst kommt der Herr zurueck." 

Pater Leppich klettert die Leiter hoch, und schon steht er am Mikrophon.  "Es geht wieder los, puenktlich wie die Maurer, aber nicht so gut bezahlt wie die Maurer." Er dirigiert die Menge auf dem Platz. 
- "Ihr steht da unanstaendig eng! 
- und empfiehlt:  "Schickt die Kinder und die Kindskoepfe nach Hause!" 
Und auch: "Ich muß mich bedanken bei den Behoerden der Stadt." 

In der ersten Viertelstunde gibt er Hinweise auf seine Buecher, seine Schallplatten. ("Soll sich der Alte doch mal eine Stunde in der Kneipe anhören - und er geht in die Knie.") und auf das, was er sonst noch plant. 

Und dann - es ist, als schalte er einen anderen Gang ein - beginnt seine Predigt.  "Soll ich eine Weibrauchpredigt halten?" Er bekennt, daß er Angst hat - kein Lampenfieber, aber Angst, dass man ihn nur als Sensation nimmt.  Er stimmt sein Thema an - "Dolce-vita Bolsche-vita" - und er sagt: "Ich werde keine politischen Backpfeifen austeilen, ich werde wie ein Priester reden." Und: "Ich moechte den Kommunismus sehr ernst nehmen.." 
Die Auseinandersetzung mit dem Konmmunism ist sein Thema.  Dabei bleibt er, auch wenn er - wie man meinen könnte - abschweift, wenn er Beispiele nennt aus dem bundesdeutschen Alltag.  Denn der Verfall der Sitten, in welcher Form und wo auch immer, ist fuer ihn ein Zeichen dafuer, dass mit diesem Staat kein Staat mehr zu machen ist." Die Antwort auf Dolce-vita wird Bolsche-vita sein.  Wir haben geistigen Sommerschlussverkauf." - "Wir sind wie das gelaehmte Kaninchen, und die Schlange ist schon da." 

"Ich bin kein Bekehrungsroboter", ruft er.  'Er wettert gegen die Spaltung der Kirche: "Wir haben die gleiche Taufe." - "Wenn die da oben zu langsam machen, fangen wir doch unten an. Denn Christus hat uns ein Vermaechtnis gegeben." 

Und immer wieder - kurze Selbstverteidigung: "Natuerlich klage ich an." - "Und wem diese meine Sprache nicht paßt.... der geh doch weg." Er knoepft sich die Politiker vor: "Sie waschen zuviel dreckige Waesche voreinander. Er urteilt: "Deutschland ist rnittlerweile ein religioes unter- entwickeltes Land geworden." - "Wirtschaftlich sind die Deutschen Riesen, geistig sind sie Boulevardtypen geworden." 

Er ruft: "Soll Deutschland der Saustall Europas werden?" Und er sagt auch: "Lieber etwas unrecht machen im heiligen Zorn." 

Leppich findet Zuhoerer.  Man lacht, man froestelt.  Pater Leppich laesst an Deutlichkeit nichts zu wuenschen uebrig.  Und sicher hat er haeufig recht, und sicher kann man ihm ebensooft widersprechen.  Der Massenredner vereinfacht.  Er fragt: "Was ist zu tun?  Der Massenredner glaubt nicht mehr an die Masse." 

Und zum Abschluss fordert er die Leute auf, zu handeln, mitzumachen.  "Du bist nicht in Oberammergau, du bist in Essen." - "Ich suche dringend einen Radiotechniker für Indien." Pater Leppich, der Massenredner, der Prediger der Strassenkanzel, vertraut weniger auf das Wort als auf die Tat.  Nur die Aktion zaehlt in der Zukunft.                                                             N.B. 

 

So weit der Aufsatz der NRZ , eine der auflagenstaerksten ( links-gerichteten ) Tageszeitungen im Ruhrgebiet (DE) vom 22.Juni 1965.

Wir - von der Aktion 365 - haben ca. 20.000 Zuhoerer gezaehlt. Und ich hatte die volle Verantwortung - angefangen von den (ungenehmigten) Reklameplakatierungen, Autokorsos mit Cocacola-Lautsprecherwagen - im gesamten Grossstadtbereich mit ca. 200 Helfern - als Organisator. Das bedeutet, - ich hockte im Uebertragungslieferwagen ( auf dessen Dach der Pater predigte ) neben den laufenden Tonbandgeraeten. Alles musste wegen der zu erwartenden Angriffe nach der Predigt "rechtsanwaltreif" dokumentiert sein. Neben mir hockten unsere Techniker fuer die bulligen Lautsprecheranlagen. Des Paters Stimme hallte von den Waenden der Verwaltungshochhaeuser in der Stadtmitte zum Kundgebungsplatz zurueck. - Ein monumentales Unternehmen.
Und dann  - ich werde das nie vergessen - hörte ich nach Schluss der Predigt, als die Menschen nach Hause draengten und eines der in Einsatzbereitschaft am Platzrande postierten DRK-Autos hysterisch in die Menge zu fahren drohte  . . .
( Vorsicht :  Massenpsychose!!! - da helfen bei 20.000 Leuten im Erstfall auch keine 50 Motorradpolizisten nicht mehr. - ) ,. . .  also hoerte ich den Pater wuetend in´s Mikro bellen: "Wo ist hier der Organisator??"  Innerhalb von ca. 5 Sekunden war ich die Eisenleiter auf das Dacht hinaufgeflitzt, stand neben meinem Pater Leppich SJ. und antwortete ihm laut und deutlich  in´s Ohr: "Hier!!"      -  -  -         ( "Ruhe im Dom." )

Vielerlei hatte ich im Laufe der Zeit unserer Freundschaft zu verantworten. Vielerlei habe ich ganz sicher haarstraeubend falsch gemacht. Jedoch.: Niemalshat Pater Leppich vor der Oeffentlichkeit oder unter vier Augen seine Loyalitaet zu mir anfragen lassen. Er stellte sich, trotz meiner haeufig verwegenen Alleinentscheidungen immer total hinter mich. -
Es war ungeheuerlich,   - selten und kostbar!
 

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