Soeben bei n-tv-Maischberger, 13.05.2003, Uhr 17,15
Zu Gast: Peter Scholl-Latour, Nahost-Experte
Thema: Terroranschlag in Saudi-Arabien
--SM Sandra Maischberger
(Zitate nur sinngemäß und ohne Gewähr. Protokollierung nur nach Interessenlage und zeitlicher Möglichkeit von C.Elmar Schulte-Schulenberg. Oder: „Omne quod recipitur – ad modum recipientis recipitur.“
Hiermit ausdrückliche Distanzierung von allen Linkinhalten im Sinne von persönlichem Haftungausschluß nach neuester Rechtsprechung. )
--
START
SM
Man trifft jetzt die Amerikaner, zielt aber
tatsächlich auf die eigenen Herrscher, weil die „heiligen“ islamischen
Revolutionäre die „unheilige“, Königsfamilie liquidieren
wollen?
S
Ja
SM
Die Dynastie – 30.000 „lasterhafte saudische Mitglieder des Königshauses“
– erschüttert durch 11. September. Beziehungen zwischen Saudi-Arabien
und USA jetzt gespannt?
S
Ja
SM
Saudi- Arabien wird von einer „verderbten Clique“ beherrscht?
S
Ja
SM
Dort “Revolte der Straße” möglich?
S
Nein
(Nur Militärputsch.)
SM
Auch im aktuellen Falle möglicherweise – al Kaida – verantwortlich?
S
Ja
SM
Bin Laden königshausnahe?
S
Ja
SM
Bin Ladens Familieverbindung
mit US-Unternehmen für bisherige US-Duldung verantwortlich?
S
Ja.
SM
Werden US jetzt gegen Saudi-Terrorismus vorgehen?
S
Ja
SM
(Offener) Saudi-Terrorismus jetzt zweite Welle weltweit?
S
Ja.
SM
Was werden US jetzt machen?
S
Saudi-Herrscher austauschen.
SM
US jetzt offensiv militärisch gegen Saudis?
S
Nein
(Politisch keine Personen zu fassen. „Theologischer“ Krieg)
SM
Saudisches Königshaus ist jetzt den eigenen Fundamentalisten
ausgesetzt?
S
Ja
Werbe-PAUSE
SM
Frustrierend für Sie, als altgedienten Journalisten, dass nach
"heißer Phase" das Bürgerinteresse stets passé?
S
Ja
SM
Ihre Fehlprognosen Irak (Häuserkampf) sind Ihnen unangenehm?
S
Ja
(Der Ärger kann allerdings auch noch kommen.)
SM
Haben Sie Saddam überschätzt?
S
Nein
SM
Glauben Sie, dass im Irak noch Massenvernichtungswaffen gefunden
werden?
S
Nein
SM
USA haben Irak via UN nur deshalb entwaffnet (Inspekteure), um gefahrloser
angreifen zu können?
S
Ja
SM
Glauben Sie, dass Gefährdung Israels durch Krieg gegen Irak
gestiegen?
S
Ja
SM
Gefahr, dass sich nun im Irak ein „Gottesstaat“ a la Iran etabliert?
S
Nein
(US werden das verhindern)
SM
Werden US im Irak jetzt eine parlamentarische Demokratie zulassen?
S
Nein
SM
US haben mit dem neuen US-Zivilverwalter jetzt eine institutionelle
Terrorismusbekämpfung etabliert?
S
Ja
SM
US müssen auf Dauer im Irak bleiben, wenn sie das Öl sichern
wollen?
S
Nein
(Das machen die akkreditierten Söldnergesellschaften, wie Polen)
SM
Deutsche jetzt in den Irak?
S
Nein!
(Auf Balkan Ordnung halten)
SM
Algerienproblem hängt mit militantem Islamismus zusammen?
S
Ja
(Kann im Falle der neuesten Verschleppung aber auch reines Erpressungsgeschäft
sein.)
SM
Ablehnung der „ roten Mappe“ durch israelische Regierung, Zeichen
israelischer Stärke?
S
Ja
SM
Ende israelischen Konfliktes möglich?
S
Nein
SM
Pax Americana in Zukunft möglich?
S
Nein
(Der hl. Paulus fühlte sich deshalb als „Römischer Bürger“,
weil die Römer fremde Kulturen integrieren konnten.)
SM
Deutschland wird jetzt verstärkt von Terror getroffen?
S
Ja
SM
Deutschland sollte USA besser wieder nachfolgen?
S
Nein
(Nicht die gleichen Interessen)
SM
Werden Ihnen die Themen – bald - in Ihrem 80. ten Lebensjahr
ausgehen?
S
Nein
Eher das Leben. ;-))
END
Bye!
( Email an: Carl-Elmar Schulte-Schulenberg )
Chatprotokoll | ||
Peter
Scholl-Latour :
Guten Tag.
levitan
:
Herr Peter Scholl-Latour , muss man in Deutschland 80 Jahre alt werden
um die Wahrheit laut zu sagen ?
Peter Scholl-Latour
:
Es gibt ein Sprichwort von Bernard Shaw: Nehmt Euch
vor Alten Männern in acht, sie haben nichts zu verlieren.
mervyn
:
In wieweit ist Al Kaida eine feste Organisation oder nur ein Sammelbegriff
für verschiedene islamische Gruppen?
Peter Scholl-Latour
:
Vermutlich ist Al Qaida stark dezentriert. Sonst
wäre sie auch leicht zu enthaupten. Im
übrigen gibt es eine Vielzahl ähnlicher Organisationen mit unterschiedlichen
Namen.
Nadeem
:
Guten Abend Herr Dr. Scholl-Latour, sind eigentlich alle Aktionen der
USA im Interesse des Staates Israel
Peter Scholl-Latour
:
Ich nehme an, dass der amerikanische Präsident
das Interesse der USA vor Augen hat - so wie er es versteht. Dazu gehört
wohl auch die enge Bindung an Israel.
MONET12
:
Was denken Sie über den neuen palästinensischen Ministerpräsidenten
Abbas? Denken Sie Arafats Ende naht damit?
Peter Scholl-Latour
:
Es ist ein schwacher Mann, der dem rauhen Spiel
der Kräfte im heiligen Land auf Dauer wohl nicht gewachsen ist.
PhilippLuehring
:
Was hält Herr Scholl-Latour von dem amerikanischen Journalisten Bob
Woodward, der gerade das Buch Bush at war heraus gebracht hat?
Peter Scholl-Latour
:
Er hat schon bessere Bücher geschrieben: Watergate
tobbel
:
Herr Scholl-Latour, glauben Sie Saddam Hussein wird gefasst werden? Wo
glauben Sie ist er?
Peter Scholl-Latour
:
Wenn er noch lebt, hält er sich wohl in Bagdad
versteckt. Seine Überlebenschancen sind gering.
Caesarforever
:
ok, meine frage: Ist die Gefahr eines Terroranschlages in Deutschland
wirklich so groß oder überschätzen die Deutschen (z. Bsp.
durch die Medien) die Gefahr?
Peter Scholl-Latour
:
Man kann nicht ausschliessen, dass der Terror auch
auf Deutschland übergeht. Im vergangenen Jahr haben in Westeuropa nur
9 Attentate stattgefunden, und das waren meistens Baskische Urheber.
testermann
:
Welche konkrete Massnahmen würde Herr SL in Deutschland gegen den
Terror unternehmen?
Peter Scholl-Latour
:
Man hüte sich vor Hysterie. Gegen einen Selbstmordattentäter
ist wohl kein Kraut gewachsen.
LordProtector
:
Sind die Anschläge von heute morgen ein Zeichen dafür, dass
Osama bin laden noch lebt?
Peter Scholl-Latour
:
Aus seiner Höhle im Afghanischen Grenzgebiet,
falls er doch noch lebt, hat er den Anschlag bestimmt nicht koordinieren
können.
prolet
:
her sl, warum trafen ihrer irak-voraussagen nicht ein?
Peter Scholl-Latour
:
Im wesentlichen haben sich meine Irak Vorraussagen
bestätigt. Ich habe den Sieg der Amerikaner und den Untergang Saddam
Husseins vorrausgesagt. Allerdings hatte ich wie die Amerikaner selbst mit
einem Häuserkampf in Bagdad gerechnet. Aber der könnte ja auch noch kommen.
Stephan 17
:
Herr Scholl-Latour, wie wird sich ihrer Meinung nach die Situation im
Irak in der nächsten Zeit entwickeln, wird es den Amerikanern gelingen,
die von ihnen gewollte Demokratie durchzusetzen?
Peter Scholl-Latour
:
Von einer Demokratie im westlichen Modell kann im
Irak schwerlich die Rede sein. Bei freien Wahlen würden die Schiiten
die Regierung stellen, und das werden die USA zu verhindern suchen.
LordProtector
:
Ist es nach ihrer Meinung nicht auch so, dass die Europäischen Ländern
sich in ihrer Weltpolitschen Bedeutung viel zu sehr überschätzen
und dass ohne eine konsequente militärische Aufrüstung das alte
Europa in der Welt keine große politische Bedeutung erlangen wird?
Peter Scholl-Latour
:
Die Europäer unterschätzen sich. Bei konsequenter
Aufrüstung des 'alten Europa' würde der Kontinent zwar keine
globale, aber wenigstens eine regionale Rolle spielen.
pehapeha
:
Züchtet die gegenwärtige US-Politik den Terror, den sie vorgibt
zu bekämpfen?
Peter Scholl-Latour
:
Je mehr man von Terror redet, desto größer
wird die Gefahr, dass irgendwelche Verrückte durch diese Psychose angesteckt
werden.
SteNus
:
Finden Sie eigentlich die Haltung der deutschen Bundesregierung zum Irak.Krieg
im Nachhinein als gerechtfertigt?
Peter Scholl-Latour
:
Im Prinzip war sie richtig. Aber in der Motivation bleibt sie zweifelhaft.
Phy :
Guten Abend - im Schulunterricht haben wir uns mit den Thesen des Historikers
Emmanuel Todds auseinandergesetzt. Würden sie dem zustimmen, dass die
derzeitige amerikanische Außenpolitik den Untergang der USA bewirkt
und dass mit der Achse Paris-Berlin-Moskau ein Gegengewicht entsteht
(entstehen könnte)?
Peter Scholl-Latour
:
Emmanuel Todd ist ein gescheiter Politologe, aber
er unterschätzt das immer noch ungeheuere Potential der USA. Andererseits
wird Russland auf Dauer eine enge Verbindung mit den USA anstreben um den
gemeinsamen Gefahren für beide Länder, das heißt der islamischen
Revolution und der aufstrebenden Grossmachtschiene entgegenzutreten.
MONET12
:
Könnten Sie bitte einige Worte zu China sagen? Wie sehen Sie zudem
die Situation bezüglich der Uyguren? Dort soll sich ja auch Fundamentalismus
herausbilden..
Peter Scholl-Latour
:
Die Uyuren bilden eine Minderheit von etwa 9 Millionen
Menschen in der chinesischen Volksrep. mit 1,3 Milliarden Einwohnern. Zumal
werden sie durch eine massive chinesische Einwanderung in ihre Westprovinz
an die Wand gedrückt.
Intimi Arafats
:
Was sehen Sie als Haupthindernis für einen dauerhaften Frieden im
Nahen Osten?
Peter Scholl-Latour
:
Leider handelt es sich im Heiligen Land wohl um
die Quadratur des Kreises. Die Schaffung eines halbwegs souveränen
Palästinänserstaates würde auf Dauer die Sicherheit Israels
gefährden. Die totale Absicherung Israels wiederum verurteilt die
Palästinänser zur Existenz in einem Protektorat.
Thomas Wipf
:
Wer ist für Sie der bedeutendste heute lebende Politiker, der ihnen
auch Bewunderung oder Respekt abverlangt?
Peter Scholl-Latour
:
Helmut Schmidt.
henness
:
werden die Amerikaner sich künftig auch wieder gegen den Iran wenden?
Phy :
Gibt es Anzeichen dafür, dass die USA Vorbereitungen für einen
Angriff auf den Iran treffen - bzw. welche Motivation könnte einer
solchen Politik zu Grunde liegen?
Peter Scholl-Latour
:
Der Iran wurde von Bush in die Achse des Bösen
eingegliedert und muss sich natürlich bedroht fühlen.
goabine
:
Sehr verehrter Herr Scholl-Latour. Sie sind in Sachen Nahost für
mich sozusagen der Mentor, der mir aus dem Herzen spricht. Ich danke Ihnen,
dass Sie den Mut haben, das zu sagen, was andere Politiker nicht mal zu denken
wagen. Sie sorgen wenigstens ein bisschen dafür, dass das Volk nicht
völlig politisch in die Irre läuft. Leider gibt es mutiger Menschen
wie Sie nur selten. Ich wünsche Ihnen noch sehr viel Mut, Kraft und
Energie. Sabine Bleise aus Berlin
Peter Scholl-Latour
:
Ich bedanke mich für Ihre Wertschätzung.
Peter Scholl-Latour
:
Als Abschluss dieses Chats, für den ich mich
bedanke, möchte ich auf den Untertitel meines letzten Buches verweisen
Chronik eines unbegrenzten Krieges. Der Konflikt ist also längst
nicht ausgestanden.
(mailto:elmar@schulte-schulenberg.de)
Moderator
:
Vielen Dank an Herrn Scholl-Latour und an alle Teilnehmer
für diesen hochinteressanten Chat. Leider konnten wir nicht alle Fragen
drannehmen. Ich öffne nun den Kanal, damit Sie sich noch weiter untereinander
austauschen können und verabschiede mich. Bis zum nächsten Mal!
Peter Scholl-Latour
:
Herzliche Grüße an alle.
Im europäisch-amerikanischen Verhältnis hat die Stunde
der Wahrheit geschlagen
Es ist ein Sieg von Demokratie und Freiheit im Irak: Amerikaner und
Briten haben nach nicht einmal einem Monat Kampfzeit den irakischen Massenmörder
Saddam Hussein gestürzt. Was die UNO in zwölf Jahren und mit siebzehn
Resolutionen nicht geschafft hat, ist dank der Entschlossenheit von George
W. Bush und Tony Blair vollbracht: Die Beseitigung und Entwaffnung eines
der gefährlichsten Regime der Neuzeit. Natürlich ist jedes Opfer
eines zuviel, natürlich ist Krieg immer grausam. Aber gegenüber
den Prognosen der Berufsbetroffenen und Bedenkenträger hierzulande (ein
Flächenbrand im Nahen Osten, eine neue Terrorwelle gegen den Westen,
blutige Straßenkämpfe in Bagdad, monatelange Flächenbombardements
der Städte, Hunderttausende von Toten) ist das Ergebnis des Militäreinsatzes
weit weniger schrecklich - vor allem gemessen an den unzähligen Opfern
der Terrorherrschaft Saddams. Der Sieg der alliierten Koalition kann der
Neuanfang für Frieden und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten
sein.
Der Krieg im Irak ist die Stunde der Wahrheit für eine neue Weltordnung,
die künftige Sicherheitsarchitektur der Staatengemeinschaft im einundzwanzigsten
Jahrhundert. Es ist die Stunde der Wahrheit für
die EU, die sich entscheiden muß, ob sie sich als
Partner in einem europäisch-atlantischen Europa oder
als Gegengewicht zu den USA in einem französisch-deutsch dominierten
Europa definieren will und für die Atlantische Allianz, die eine Zukunft
nur hat, wenn sie den globalen Sicherheitsbedrohungen militärisch begegnen
kann und politisch darf.
Der Sturz Saddams ist ein Etappensieg in einem Krieg, den totalitäre
islamistische Terroristen am 11. September 2001 den USA und der übrigen
westlichen Zivilisation erklärt haben; an diesem Tag begann der Versuch
der "Al Kaida"-Terrorbande, Amerika und die anderen westlichen Demokratien
den von Samuel Huntington vorhergesagten "Kampf der Kulturen" - fanatisierter
Islamismus vs westlichen "way of life" und Christentum - aufzuzwingen. Die
Antwort darauf war eine von Washington besonnen geschmiedete und geführte
"Allianz gegen den Terror".
Die Entmachtung des arabischen Diktators Saddam Hussein - eines Herrschers,
dessen totalitäres Regime Massenvernichtungswaffen hergestellt hat,
die er, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte, bedenkenlos gegen
andere Länder eingesetzt und ohne Zögern terroristischen Akteuren
muslimischer und anderer Provinienz zur Verfügung gestellt hätte,
der palästinensische Selbstmordattentäter, die Dutzende von Israelis
in den Tod mitreißen, mit Geld belohnte - war das Gebot der Stunde,
um den Krieg islamistischer Verblendung gegen den Westen zu beenden.
Es ist die Stunde der Wahrheit, zu erkennen, daß die Arroganz
der Macht, die den USA seit 1945 vorgeworfen wird, auf einer Realpolitik
beruht, die während des fünfzig Jahre andauernden Kalten Krieges
dem freien Europa, dem freien Deutschland und dem geteilten Berlin politische
Solidarität gewährt und militärischen Schutz garantiert
hat. Als 1989 die Berliner Mauer fiel und die kommunistische Ideologie nicht
mehr aufrecht zu erhalten war, die Welt von einer berechenbaren bipolaren
in eine unberechenbare multipolare (Un-) Sicherheitsarchitektur eintrat,
mahnte George Bush sen. an, daß die nach dem Ende des Kalten Krieges
entstandene sicherheitspolitische Lücke nach einer neuen Weltordnung
verlangte.
Doch der alte Kontinent war in den 1990er Jahren darauf konzentriert,
seine "Friedensdividende" einzustreichen. Zwar hat Milosovic Europa kurzfristig
aus seinen "perpetual peace"-Träumen gerissen, aber nachdem die USA
im Hinterhof der Europäer, auf dem Balkan, für Ruhe gesorgt hatten
- wir erinnern uns: ohne Mandat der UNO - legte man sich in Brüssel
und Berlin wieder schlafen.
Dank der realpolitischen Arroganz der Macht der USA ist Deutschland
heute vereinigt; Paris, London und auch Moskau mußten während
des 2+4 Prozesses gelegentlich deutlich von Washington zum Jagen getragen
werden. Dank einer ideologi-
schen Arroganz der Ignoranz hat Berlin Europa dagegen heute in die Krise
gestürzt. Was die Sowjets fünfzig Jahre lang nicht geschafft haben:
Deutschland transatlantisch zu isolieren, Europa zu spalten und die NATO
zu paralysieren, gelang Saddam Hussein dank der rot-grünen Bundesregierung
in Berlin innerhalb nur weniger Monate.
Der Irak-Krieg ist die Stunde der Wahrheit für Berlins unprofessionelle,
undiplomatische, anti-amerikanische und anti-europäische Außen-
und Sicherheitspolitik. Erstmals seit 1945 hat Deutschland durch sture Verweigerungshaltung
das deutsch-amerikanische Verhältnis - sein wichtigstes - schwer beschädigt
und jenes zu Frankreich auf eine anti-amerikanische Linie reduziert. Durch
diese gegen deutsche, europäische und atlantische Interessen gerichtete
Politik ist die Balance zwischen Europa und Amerika nachhaltig ins Wanken
geraten. Zudem hat Berlin durch seinen politischen Unwillen, die Verteidigungsfähigkeit
der NATO zu stärken, die Allianz erheblich geschwächt und letztlich
durch destruktives und unkooperatives Verhalten den europäischen Einfluß
in der UNO auf ein Minimum reduziert, obgleich es mit seinem Vorsitz und
der Repräsentanz von fünf (!) europäischen Staaten im UN-Sicherheitsrat
alle diplomatischen Mittel hatte, durch konstruktives Engagement eine einheitliche
europäische Position herbeizuführen.
Europa hat die Zeit des großen geostrategischen Gezeitenwechsels
zwischen dem Fall der Mauer und dem Einstürzen des World Trade Centers
ungenutzt verstreichen lassen und es versäumt, eine kohärente
gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aufzubauen, von einer ernsthaften
militärischen Komponente ganz zu schweigen.
Dabei hatte der alte Kontinent 1990 zum ersten Mal seit 1945 die Macht,
die Mittel und die Freiheit, seine Kapazitäten zu bündeln: „to
make Europe safe“ für eine gleichberechtigte Partnerschaft mit der
Supermacht USA und ein "global player" zu werden. In der selben Zeit ist
Amerika konzeptionell, strategisch und materiell enteilt und zur Hypermacht
geworden.
Selbst nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 wachte
Europa sicherheitspolitisch nicht wirklich auf. Präsident George Bush
jun. reagierte - wie übrigens jeder andere amerikanische Präsident
es auch getan hätte - auf die potentielle Verbindung Massenvernichtungswaffen-Terrorismus
schnell, und handelte. Durch die Tatsache, daß unser aus dem siebzehnten
Jahrhundert stammendes Völkerrecht nicht vorschreibt, wie man auf Angriffe
von nicht-staatlichen Terror-Akteuren angemessen reagiert - daher im einundzwanzigsten
Jahrhundert obsolet geworden ist und dementsprechend an die neue politische
Weltlage angepaßt werden muß - ließ sich Washington nicht
die Initiative aus der Hand nehmen: Die amerikanische Administration, wie
auch die britische Regierung - übrigens die ältesten Demokratien
- betrachteten den Angriff auf den Irak als präemptiven Schritt zur
langfristigen Selbstverteidigung der Gemeinschaft freier Staaten und fühlten
sich dabei nicht ausschließlich auf die Zustimmung der UNO angewiesen,
in dem eine moralische Instanz wie Libyen dem "Ausschuß für Menschrechtsfragen"
vorsitzt.
Allerdings hätte der amerikanische Präsident auf die Unterstützung
zweier europäischer Staaten zählen wollen, die Amerika jahrzehntelang
im Kalten Krieg verteidigt hat: Deutschland und Frankreich. Statt sich an
die Seite des Verbündeten USA zu stellen - dann wären die Briefe
der acht EU Staaten und der Vilnius-Gruppe nie geschrieben worden - startete
Jacques Chirac eine beispiellose Kampagne gegen Washington - und nahm Deutschland
dabei Huckepack. Der Präsident der "Grande Nation", der wohl als einziger
Staatschef weltweit noch an dem Großmachtstatus Frankreichs glaubt,
stand ganz unter gaullistischem Wahn, dessen primäres außenpolitisches
Ziel die Einhegung des amerikanischen Hegemons ist und dem die Interessen
Frankreichs in den Wüsten Arabiens wichtiger sind als die transatlantische
Partnerschaft. In der Auseinandersetzung um den Irak-Krieg witterte er
die Chance, eine internationale Koalition gegen Washington zu schmieden
- allein es fehlte der Partner, standen doch fast alle europäischen
Partner prinzipiell auf der Seite Amerikas und war doch vor allem Deutschland
dafür bekannt, daß es seit 1963 stets die Balance wahrte zwischen
Paris und Washington und sich kaum gegen seinen wichtigsten Verbündeten
wenden würde.
Bundeskanzler Gerhard Schröder aber nahm den verhängnisvollsten
außenpolitischen Schwenk Deutschlands seit 1945 vor. Nicht ohne Selbstüberschätzung
nutzte der französische Präsident das europäische Vakuum,
um sich gemeinsam mit Berlin gegen Washington und London zu positionieren.
Plötzlich ist im einundzwanzigsten Jahrhundert wieder vom "deutschen
Weg" und "gaullistischem Gegengewicht" die Rede, vom Konzert der großen
Mächte sang man an der Seine, von der globalen Balancepolitik gegen
die Hypermacht Amerika. Und von Goslar bis Gießen skandierte man dazu
"Ami go home". Nicht die Ausschaltung eines der brutalsten Regime der neueren
Geschichte waren die Ambition Berlins und Paris’; beiden ist die Einhegung
der USA und Verhinderung einer unipolaren Weltordnung wichtiger.
Diese anti-amerikanisch gefärbte Politik des deutschen Bundeskanzlers
läßt sich nicht nur aus seiner persönlichen Biographie erklären
- ihm war schon als niedersächsischer Ministerpräsident Castros
Kuba näher, als Clintons Amerika. Sie muß als durchdachte Strategie
der rot-grünen Führung 68er Provinienz gesehen werden, durch
den Appell an eine immerwährende Friedensliebe der deutschen Linken
- was im Ernstfall auch das Ende der Demokratie und der Freiheit bedeuten
kann - und die Mobilisierung latent vorhandener anti-amerikanischer Ressentiments
auf rechter wie linker Seite, um von der innenpolitisch katastrophalen Bilanz
abzulenken. Diese anti-amerikanischen Ressentiments finden sich schon bei
Fichte und dessen moralisch-überhöhten kulturellen Überlegenheitsanspruch
deutscher Politik und bilden die geistige Grundlage vieler Rechts-Intellektueller
in diesem Land. Die Linke dagegen hat es in Selbsthaß auf das eigene
Land nie verwunden, daß erst die Amerikaner kommen mußten,
um Auschwitz zu befreien - die selben Amerikaner, die sich dann in Vietnam
schuldig gemacht haben, dies zugaben, und die Deutschland im Kalten Krieg
mit Atomraketen statt mit Friedenstauben bestückten - und damit auch
noch recht behielten. Aber auch Teile der Rechten kommen mit dem 8. Mai
1945 nicht klar: Sie wollen diesen Tag nicht als Tag der Befreiung akzeptieren,
sondern definieren ihn lieber als Tag der Niederlage. Schließlich
wurde Deutschland nicht von Soldaten der Wehrmacht befreit, sondern von amerikanischen
GIs - womöglich noch Schwarzen. Es war die politische Kunst aller Bundeskanzler
von Adenauer über Brandt bis Kohl diese Ressentiments auszugleichen
- und nicht anzuheizen, wie es Gerhard Schröder als erster deutscher
Nachkriegskanzler und Joseph Fischer als erster deutscher Außenminister
bewußt praktizieren.
Was den französischen Anti-Amerikanismus betrifft, so geht dieser
zurück auf die französische und amerikanische Revolution. Die
französische hatte einen nationalen Charakter, die amerikanische einen
universalistischen Anspruch. Daß Frankreich ohne die USA den Ersten
Weltkrieg verloren hätte, trägt ebenso zu Minderwertigkeitskomplexen
gegenüber den USA bei, wie die Tatsache, daß es Amerika war, welches
Frankreich nach 1945 großzügig - trotz Vichy - als Siegermacht
honoris causa duldete.
Die deutsch-französischen Beziehungen ruhen heute auf dem dünnen
Eis einer gemeinsamen Ablehnung der Führungsmacht USA - das macht die
Verlogenheit des Verhältnisses aus. Berlin und Paris verbündeten
sich mit dem wenig freiheitlichen Moskau und dem wenig demokratischen Peking,
um die älteste Demokratie der Moderne, die USA, einzudämmen. Aber
sowohl Moskau wie auch Peking ist am Ende des Tages ihr Verhältnis
zu Washington wichtiger als zu einer ehemaligen Mittelmacht und dem Zentral-Papiertiger
Europa.
Jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit für die realpolitisch
nicht mehr existierende deutsch-französische Achse: Die jetzige Krise
wird zeigen, ob sich das "neue" Europa unter Führung des Briten Blair,
des Spaniers Aznar und des Polen Kwasniewski durchsetzen wird - ein starkes,
gleichberechtigtes Europa, das gemeinsam mit den USA sicherheitspolitische
Konsequenzen aus den weltgeschichtlichen Paradigmenwechseln 1989 und 2001
gezogen hat und an einer neuen Weltordnung mitwirkt - oder ob das "alte"
Europa weiterhin die transatlantische Allianz spalten wird, wie es Deutschland
und Frankreich in beispielloser Weise getan haben. Über eins sollte man
sich im klaren sein: Erst Schröders "deutscher Sonderweg", der Berlin
in die außenpolitische Irrelevanz führte und Europa ein gefährliches
Vakuum bescherte, hat Jacques Chiracs Hybris auf den Plan gerufen, mit der
Drohung eines französischen Vetos im UN-Sicherheitsrat Weltpolitik gegen
die USA betreiben zu können. Nicht einmal afrikanische, von Paris finanziell
abhängige Staaten, wollten sich endgültig festlegen lassen auf
eine Konfrontation mit den Amerikanern.
Briten, Spanier, Italiener, Portugiesen, Polen, Tschechen, Ungarn, die
baltischen Staaten, aber auch Rumänien oder Bulgarien, sie alle können
sich die Zukunft Europas nur an der Seite Amerikas vorstellen, das wurde
erneut deutlich auf dem historischen EU-Gipfel in Athen am 16. April - Europas
Interessen sind auch atlantische Interessen, ein geeintes und starkes Europa
ist der beste Verbündete für die Vereinigten Staaten; das weiß
auch Washington. Daher mutet der jüngste belgische Vorschlag, eine
europäische Armee aus den NATO-untauglichen Ländern Frankreich,
Deutschland, Belgien und Luxemburg zu gründen, eher wie ein sicherheitspolitischer
Treppenwitz. Solche Vorschläge sind Europa im einundzwanzigsten Jahrhundert
nicht würdig. Auch der Dreier-Gipfel Schröder-Putin-Chirac in
St. Petersburg war das falsche Signal in Richtung Amerika, aber auch in
Richtung Europa: Unheilige Allianzen wie diese gehören ins neunzehnte
Jahrhundert. Ernstzunehmender Partner der USA kann Europa nur werden, wenn
sich zumindest London, Berlin und Paris einig sind.
Auch für die NATO schlägt in diesen Wochen die Stunde der
Wahrheit, und es bedarf eindeutiger Verpflichtungen auf beiden Seiten des
Atlantiks, will man die Allianz vor dem Schicksal einer bewaffneten OSZE
bewahren. Gleichzeitig bietet sich eine enorme Chance für die Allianz:
Es gibt kein geeigneteres Instrument als die NATO mit ihrer Reichweite und
ihren Kapazitäten, um die Sicherheit im Nachkriegs-Irak zu gewährleisten.
Für eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen und Mittleren
Osten braucht Washington Europa, denn es kann weder durch ein amerikanisches
Militärprotektorat erreicht werden, noch durch die Hoffnung auf das
wundersame Aufblühen der Pflanze Demokratie im Wüstensand: Hierzu
bedarf es eines langfristigen strategischen Demokratie-Aufbau-Planes, den
die Europäer mit ihren historischen Erfahrungen und ihrem zivilgesellschaftlichen
Ansätzen mitgestalten müssen. Staaten, die bereits auf dem Weg zur
Demokratie sind, wie die Türkei, Marokko, Ägypten oder Jordanien,
könnten dabei in Ausschnitten als Vorbilder dienen. Der arabischen Welt
die Fähigkeit zur Demokratie abzusprechen - wie so mancher "Nahostexperte"
hierzulande - zeugt von jener Fichteschen erhabenen Überheblichkeit.
Ein erster Ansatz zu gemeinsamen Handeln, daß von der UNO mitgetragen
werden sollte und von der NATO abgesichert ist, wäre eine amerikanisch-europäische
Initiative "to make the Greater Middle East safe for democracy". Marshallpläne
gegen die Talibanisierung des Nahen und Mitleren Ostens sind notwendig,
um den Rekrutierungsboden für islamistischen Terror auszutrocknen. Die
Bekämpfung des Analphabetismus und der Jugendarbeitslosigkeit sind dabei
die wichtigsten Schritte, bei der politischen Neustrukturierung Iraks nach
dem Krieg, aber auch der Staaten in der Region.
Es geht um eine neue Weltordnung, die bereits George Bush sen. angemahnt
hatte: George Bush jun. wird daran gemessen werden, ob es ihm gelingt, diese
neue Weltordnung mit den Europäern, der NATO, der UNO und vielleicht
auch gemeinsam mit Rußland und China zu entwerfen und zu verteidigen.
Professor Margarita Mathiopoulos ist CEO der European Advisory
Group GMBH Deutschland und Professorin für US-Außenpolitik und
Internationale Sicherheitspolitik an der Universität Potsdam. Sie ist
Vorsitzende des Bundesfachausschusses "Internationale Politik" der FDP.
von Margarita Mathiopoulos , 07. Mai 2003
( Allgemeine Copyrightanmerkungen
des Autors )
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